Geburt in Schleswig-Holstein
Geburt in Schleswig-Holstein, Foto: pixabay

Immer mehr Mütter in Schleswig-Holstein erleben die Geburt nicht als freudiges Ereignis, sondern als traumatisches Erlebnis. Ungewollte Eingriffe, fehlende Aufklärung und Zeitdruck im Kreißsaal sind zentrale Gründe.

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Gewalt durch den Kristeller-Handgriff bei Wiebke Sommerschuh

Wiebke Sommerschuh aus Wattenbek wurde trotz klarer Absprachen im Kreißsaal gegen ihren Willen mit dem Kristeller-Handgriff behandelt. Die heute 35-Jährige hatte im Vorfeld ausdrücklich erklärt, dass sie diesen Eingriff ablehne. Doch im entscheidenden Moment drückte der Arzt bei einer Wehe mit Kraft auf ihren Bauch. Als sie stoppte, wurde sie ignoriert. Solche Situationen sind keine Einzelfälle.

Laut dem Verein "Mother Hood" erleben deutschlandweit etwa 33 % aller Frauen Gewalt während der Geburt. In der Schwangerenambulanz des Universitätsklinikums in Kiel berichten wöchentlich ein bis zwei Patientinnen von Übergriffen bei vorherigen Entbindungen. Die Formen reichen von körperlicher Gewalt bis zu psychischen Übergriffen wie Einschüchterungen oder Missachtung.

Strukturelle Probleme in Schleswig-Holstein als Ursache

Schleswig-Holstein kämpft mit strukturellen Herausforderungen in der Geburtshilfe. Nach Angaben des Hebammenverbands wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund die Hälfte aller Kreißsäle geschlossen. Das betrifft besonders Regionen mit langen Wegen zur nächsten Klinik. Auf Inseln wie Föhr oder Sylt müssen Schwangere 14 Tage vor dem Geburtstermin aufs Festland reisen. Das führt bei vielen zu Unsicherheit und emotionalem Stress.

Der Personalmangel erschwert die Situation zusätzlich. Eine Hebamme betreut im Schnitt drei bis vier Geburten gleichzeitig. Diese Überlastung erhöht das Risiko, dass auf individuelle Wünsche der Gebärenden nicht eingegangen wird. Schnelle Kaiserschnitte werden bevorzugt, obwohl sie mit Risiken verbunden sind, da sie planbarer und wirtschaftlich effizienter sind.

Fehlende Nachsorge und Schweigen der Betroffenen

Viele Eltern sprechen nicht über ihre traumatische Geburtserfahrung. Laut dem Hebammenverband erkennen viele Betroffene erst später, was ihnen widerfahren ist. Schlafmangel, Erschöpfung und die volle Konzentration auf das Neugeborene führen dazu, dass sie das Erlebte nicht sofort einordnen. Manche möchten es auch einfach nur hinter sich lassen. Zudem wissen viele nicht, dass sie sich beschweren können:

  • Bei der Krankenkasse
  • Bei der Klinikleitung
  • Bei der Ärztekammer

Ein Nachgespräch mit dem medizinischen Personal kann helfen, das Erlebte besser zu verarbeiten. Es kann erklären, warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Dies schafft Klarheit und gibt den Eltern das Gefühl, ernst genommen zu werden.

Verbesserung durch Aufklärung und Einfühlungsvermögen

Empathie und Kommunikation sind laut Fachleuten entscheidend für eine gewaltfreie Geburt. Junge Ärztinnen und Ärzte fragen häufiger nach Erlaubnis und klären auch in stressigen Situationen auf. Ein sensibles Vorgehen ist besonders wichtig bei Frauen mit einer Vorgeschichte sexueller Gewalt. Frühzeitige Gespräche über individuelle Bedürfnisse können helfen, retraumatisierende Situationen zu vermeiden. Der Hebammenverband betont:

  • Frauen sollten aktiv nach ihren Wünschen gefragt werden.
  • Entscheidungen sollten nicht über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.
  • Auch nach der Geburt ist Kommunikation entscheidend.

Die Geburtshilfe steht unter Druck – doch es gibt Anzeichen für Veränderung. Hebammen und Ärzte erkennen zunehmend, wie wichtig persönliche Zuwendung, Rücksicht und Verständnis sind. Auch wenn strukturelle Hürden bestehen, zeigt sich: Mit Geduld, Aufklärung und Respekt kann Gewalt unter der Geburt verhindert werden.

 Quelle: NDR